1w6 - Ein Würfel System - Einfach saubere, freie Rollenspiel-Regeln

Brok 2011: Sechs Stunden Flyerbücher

Bild von Drak

Kars1Die Nacht von Samstag auf Sonntag haben wir auf der Brok2 von 0:00 bis 6:00 die Flyerbücher gespielt. Dank tollem Charakterspiel lief das Abenteuer fast von selbst, und aus nicht einmal einer DinA4-Seite Text wurden 6 Stunden spannende Geschichte!

In dieser Runde ist das Konzept der harten moralischen Entscheidungen sehr gut aufgegangen.

Ablauf

Da ich schon recht müde war, habe ich die Runde auf die einfachste Art begonnen: Jeder hat sich eine Charakterkarte ausgesucht (Kars, Gera, Harsur und Rog’Ba → die Charakterkarten) und ich habe als Einführung die Außenseite des Kampagnenteils auf dem Grundflyer mit Erzählstimme vorgelesen.

Danach habe ich beschrieben, wie die Nagelmachers mit ihrer alten Karosse in den Innenhof des Handelshauses Münzwechsler fuhren und um Barmherzigkeit baten.

SPOILER-ALARM: Von hier ab plaudere ich fröhlich über den Inhalt des Grundflyers (allerdings nicht über Zusatzszenarien). Wenn ihr ihn noch als Spieler erleben wollt, hört am Besten hier auf und belasst es bei: „Die Spieler waren genial, und ihre Gruppendynamik lief klasse - gerade wegen der in den Charakteren angelegten Konflikte, die sehr schön zu denen der Spielern passten“.

WER DAS NOCH SPIELEN WILL, STEIGE NUN AUS!

…alle anderen sind herzlich willkommen zur Plauderstunde :)

Ich brauchte keinen Schritt weiter zu erzählen, denn schon hier begannen die Spieler zu diskutieren. Der Spieler von Kars hat sich voll und ganz für die Nagelmachers eingesetzt; seiner Rolle gemäß, aber auch seiner eigenen Einstellung folgend. Die Spieler von Gera und Rog’Ba sahen die Nagelmachers eher als Risiko für den Trekk.

Nach einer halben Stunde hitziger und sehr interessanter Diskussionen, in denen die Charaktere immer festere Form erhalten haben, realisierten die Spieler, dass sie ja eigentlich die Wachen waren, und nicht alleine über den Trekk bestimmen konnten. Der gesamte Trekk war am Diskutieren. Kars ging daher zu den Händlern, um deren Meinung zu erfragen - und sie natürlich von seiner Sicht zu überzeugen.

Interessant für mich als SL war, dass die Spieler nicht nur sehr aktiv waren, sondern auch ihre Sicht der Welt sehr natürlich einbrachten. Beispiel: „Echsen sind halt Kaltblüter, die lassen sicht nicht auf Emotionen ein“.

Wir als Designer mögen das anders sehen, aber da wir nur die wirklich wichtigen Informationen in den Flyern vermitteln, haben hier die Spieler die Definitionsmacht (was nicht auf dem Flyer steht und nicht gesagt wurde, kann frei festgelegt werden), so dass jede Runde einzigartig wird.

Bei den Händlern erhielt Kars von Nathaniel Münzwechsler ein unmoralisches Angebot. Ich konnte mich fast eins-zu-eins an das Zitat halten, war aber bereits weit genug im Leiten, dass ich nur einige Ausdrücke aus dem Text klaubte (Mundvorrat, beischläft) und den Rest improvisierte.

Auch hier entspannen sich wieder neue Diskussionen, und es wurden real neue Argumente gebracht. Und während Kars mit dem Händler redete, diskutierten Rog’Ba und Gera - und bemerkten, dass sie weitestgehend einer Meinung waren.

Nachdem Kars das Angebot des Händlers als unmoralisch zurückgewiesen hatte, und dabei gescheitert war, dem Händler ein schlechtes Gewissen zu machen, trafen sich alle wieder und fragten sich, wie eigentlich entschieden würde. Ich erzählte ihnen, dass der Trekk inzwischen sehr planlos wirkte, weil jeder mit jedem diskutierte oder stritt, und sie entschieden nach kurzer Absprache, zu Annike Wegfinder zu gehen.

Annike tat das, was im Text steht: „Mir ist es gleich, ob wir sie mitnehmen oder nicht. Lasst Händler, Wanderarbeiter und Siedler je einen schicken und klärt es dann.“ Sie wurde gleich von Kars angegriffen, dass sie unmoralisch sei, hat das aber mit dem improvisierten „ich habe in 15 Jahren keinen Trekk verloren“ an sich abperlen lassen. Im Text steht nur „erfahren“, wie die SL das genau ausgestaltet ist ihre Sache und für die Komplikationen der Szenarien nicht wichtig.

Am Ende mussten die Nagelmachers in Zweibrücken bleiben oder alleine reisen (was ein Todesurteil wäre), weil 2 von 3 SCs es zu gefährlich fanden, sie mitzunehmen (eine Spielerin war ihrer Müdigkeit erlegen) und der Dritte das Angebot des Händlers doch für zu unmoralisch hielt.

Er hatte auch schöne Analogien dazu („stell dir vor, du wärst eine Frau, die mit gebrochenem Bein am Wegesrand liegt“), und ich habe auf meinem Notizzettel stehen „die Steuereintreiberin spielen. Sie wählt einen der SCs“ ☺. Leider hatten wir dafür nicht mehr genug Zeit…

Dann war es auch Zeit für den Trekk, in die neuen Lande zu fahren - und 4:00 Uhr morgens.

Nach ein paar Tagen (kurz abgehandelt mit „was macht ihr“) habe ich einen Abend an den Feuern beschrieben und Annike kam einmal vorbei, um ihnen zu sagen, dass sie gute Arbeit leisten. Gera erkannte dann Feuer in der Ferne, und zu Mittag des nächsten Tages sahen sie die Katzenmenschen um Shanai vor dem Trekk und Shanai sagte ihnen, dass sie den Trekk aufhalten würden, weil die Menschen das Land zerstörten. Sie sagte auch, dass sie niemanden verletzen wollen.

Irgendwann vorher hatte sich der Spieler von Kars hingelegt.

Die Spieler haben Annike vorgeschlagen, hier stehen zu bleiben und den Trekk zu befestigen, inklusive Graben um den Trekk. In der Nacht haben drei Katzenmenschen einzeln versucht, in das Lager zu kommen, sind aber immer wieder umgekehrt, wenn sie gesehen wurden. Am nächsten Tag dann sahen sie einen Späher der Katzen, der stolperte, einen Hügel hinunter rollte und sich den Kopf auf einem Stein aufschlug. Sie erreichten ihn vor den anderen Katzen und hatten so einen Gefangenen.

Ich habe für die Späher gewürfelt. Wenn die Spieler einen höheren Wert erreichten, haben sie den Späher gesehen. Zumindest war das der Plan. Dann hatte der Späher
4 Fünfer hintereinander… ☺

Die Heilerin und Techmagierin des Trekks Sotar Adepta hat sich um den Katzenmenschen gekümmert. Sie rettete ihn vor dem Tod und sagte, er wäre am nächsten Tag wieder fit. Dann haben die Spieler ihn ausgefragt und in der Nacht Shanai getroffen und mit ihr vereinbart, dass sie den Katzenmenschen am nächsten morgen frei lassen würden, wenn keine Angriffe kämen.

Ich habe spontan entschieden, dass alle nicht gewählten Charaktere trotzdem dabei sind. So hatte ich gleich eine nette Sammlung an NSCs ☺. Dass die Spieler so pazifistisch wurden, hat mich dabei etwas gewundert, war aber für die Geschichte sehr schön. Und als sie später den Gefangenen fragten, was die Menschen denn schlimmes tun würden, habe ich viel Magiehintergrund von der Grundlagenseite gebracht. Hätte ich das nicht gewusst, wäre ich vermutlich auf Naturreligiöse Argumente und natürliches Gleichgewicht ausgewichen. Außerdem habe ich improvisiert, dass die Katzenmenschen schneller sind als der Trekk, weil der Trekk jede Nacht lange Rasten muss.

Sie sahen die Katzenmenschen erst am Abend danach wieder, jetzt in heftigem Regen (auch improvisiert. Der Spieler von Gera fragte dann und wann nach dem Wetter ☺ ). Die Katzen haben sich alle gleichzeitig von allen Seiten auf den Trekk gestürzt. 30 Katzenmenschen gegen 10 Wachen. Allerdings die Katzenmenschen unbewaffnet (außer Krallen) und darauf bedacht, niemanden zu verletzen. Interessanterweise gaben die Spieler den Wachen die Weisung, ebenfalls niemanden zu töten.

Ich habe bei Proben mit unklarem Ausgang vorher gesagt, was welches Ergebnis bedeutet. Also zum Beispiel als es darum ging, ob sie es schaffen, Katzenmenschen vom Angriff abzuhalten „wenn du eine einfache Probe schaffst, also 9 erreichst, kannst du jeden 10. einschüchtern, bei einer fordernden, also 12, jeden 5. und bei einer schweren mit 15 jeden zweiten“. Zusammen konnten sie so 10 der Katzen vom Angriff abhalten und es standen nur noch 20 Katzen gegen 10 Wachen. Bei der Frage wie der Kampf Wachen gegen Katzen ausgeht, habe ich einfach einen der Spieler für eine wache würfeln lassen und das exemplarisch für alle Kämpfe genommen. Da jede Wache zweien gegenüber stand und daher 3 Punke Malus hatte, waren die Gewinnchancen 50%. Eine Katze würde also normalerweise durchkommen und eine aufgehalten werden. Wäre das anders ausgegangen, hätte ich die Anzahl der durchbrechenden Katzen einfach reduziert, hätten beide eine kritische Wunde eingesteck, wäre keine Katze durchgekommen.

Nach kurzem Kampf hatten es die Katzen zwar geschafft, einige Vorräte nach außen in den Graben zu werfen (und bei der Flucht mitzunehmen), aber 4 von ihnen waren von den SCs schwer verletzt worden. Die Wachen hatten sich an die Weisung gehalten, niemanden zu verletzen, so dass diese 4 die einzigen waren. Die nächsten Tage waren die Spieler noch vorsichtig und der Trekk baute befestigte Lager, aber die Katzenmenschen blieben fort.

Mit den 4 Verletzten war Shanais Abbruchbedingung getroffen worden. Sie zog sich zurück, da sie nicht den Tod ihrer Leute riskieren wollte.

Die nächsten 2 Wochen verliefen ereignislos. Dann kamen sie in Hochturm an und feierten die erfolgreiche Reise.

Und es war 6:00 morgens und ich musste los, um noch um 8:00 zu Hause sein zu können.

Nachbetrachtung

Alles in allem war es eine tolle Runde - und 6 Stunden Spiel mit gerade mal einer ⅔-Seite als Material. Ich hätte auch noch 3 Zusatzszenarien dabei gehabt ☺

Ein paar eigene Eindrücke (vielleicht sehen die Spieler den Beitrag hier ja auch noch und steuern weitere Eindrücke bei):

  • Was mir bisher in allen Testrunden aufgefallen ist: Es fehlt eine festgelegte Reisedauer: Wie lang wird der Trekk insgesamt reisen. Wir haben sie weggelassen, um beliebig viele Zusatzszenarien einbinden zu können, aber ich habe sie trotzdem jedes Mal im Spiel improvisiert.

  • Statt den erwarteten 2 Stunden hat das Abenteuer 6 Stunden gedauert, die großteils von Interaktionen der Spieler untereinander eingenommen wurden. Gestört hat mich das nicht, aber es relativiert etwas die Planbarkeit der Dauer jeglichen Abenteuers, bei dem die Charaktere sich frei unterhalten können ☺

  • Die Spieler haben Eigenschaften direkt ausgespielt und als Boni genutzt. Die sprechenden Namen für Eigenschaften haben sehr gut funktionert.

  • Die Charakterkarten doppelt zu haben war klasse: Ich hatte die Werte der SCs immer vor mir. Und ich hatte sie in der Anordnung der Spieler gelegt, habe also nicht nur gewusst, sondern auch zu jeder Zeit gesehen, wer wen spielt.

  • Der Spieler von Gera hat 1w6 danach in den höchsten Tönen gelobt - und ein Grundregelwerk für 5€ gekauft. Ich habe ihm gesagt, dass er mir einfach geben kann, was es ihm wert ist, und 5€ sind für mich ein Kompliment ☺; zusätzlich dazu, dass er das 1w6-System sehr elegant, einfach, schön und „nicht im Weg“ nannte. Ich habe mich über alles beide riesig gefreut! (der Spieler von Rog’Ba kannte es bereits)

  • Ich ziehe meinen Hut vor Taysal. Von ihm ist der Großteil der Plot-Konzepte, und seine Texte haben extrem gut funktioniert! Wer das im Detail nachvollziehen will, findet unsere Design-Diskussion im Forum-Thread Flyerbooks (Smalltalk) und in der Anfangsdiskussion bei dem Artikel Interessante Charaktere darstellen Teil 2: Haltung, Gestik und Mimik.

Ich hoffe, euch hat die Nachbetrachtung gefallen und würde mich über Kommentare dazu freuen!

PS: Wenn euch das Konzept der SL-Kommentare im Text gefällt, findet ihr noch viele weitere Texte mit ähnlichem Stil in Taysals Spielberichten (zumindest die, bei denen er SL ist). Sehr lesenswert!


  1. Das Bild Ruffian wurde von Kathrin Polikeit für Battle for Wesnoth gezeichnet. 

  2. Die Brok ist die Brühler Rollenspiel Konvention, offen von Samstag 10:00 bis Sonntag 20:00 und mit Tee/Kaffeeflat ☺. 

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Spielbericht

Hi!

Klasse Spielbericht. Derzeit setze ich die Flyerbücher mit Savage Worlds um und bin gespannt, wie das funktionieren wird. Immerhin verpasst ja jedes System einem Setting einen etwas anderen Stil. Falls ich im Zeitplan bleibe, sollte ich im November mit der Testrunde fertig sein.

Die Flyerbücher sind natürlich auf Improvisation ausgelegt, aber das macht ja den Reiz des Rollenspiels aus, ansonsten wäre es Schauspiel. Bei der Zeitsteuerung kommt es darauf an, ob der Spielleiter die Sache einfach laufen lässt und wie die Spieler an die einzelnen Konflikte herangehen. Beim Design kann nur von durchschnittlichen Zeiten ausgegangen werden. Notfalls muss der SL seinen Spielern halt die Pistole auf die Brust setzen und zu schnellen Entscheidungen drängen. Das ist natürlich nicht das Beste. In meinen eigenen Spielrunden mag ich es halt, wenn die Spieler einfach losspielen und dabei auch mal die Zeit aus den Augen verlieren oder nur Quatschen. Da fehlt nur noch Popcorn und Cola, fertig ist die schönste Abendunterhaltung. :)

Viele Spieler möchten natürlich auch viele Informationen haben. Das kommt aber auch auf den einzelnen Spieler an und wie er im normalen Leben an Problemlösungen herangeht. Wer die Reisedauer nicht improvisieren möchte, kann einfach von dreißig (30) Tagen ausgehen. Maximal ist der Trekk vierundfünfzig (54) Tage unterwegs, im schnellsten Falle fünfundzwanzig (25) Tage. Am Tag legt eine Karosse zwanzig (20) Kilometer zurück. Zugechsen sind langsam und die Karossen schwer. Beides dient dem Transport schwerer Güter. Wer zu Fuß geht schafft den Weg also in der halben Zeit, mit einer Reitechse in einem Drittel der Zeit.

Diese absoluten Zahlen verleiten natürlich dazu, in "Das Leid der Trauernden" (ist übrigens absichtlich mehrdeutig) auf eine Reitechse zu steigen und mit der Witwe schnurstracks nach Hochturm zu galoppieren. Allerdings ist es eine schlechte Idee alleine zu reiten. Es ist eine schlechte Idee in der Gruppe zu reiten und dadurch den Trekk zu schwächen. Überhaupt wäre ein schnellere Ritt im Sattel einer Reitechse eine schlechte Idee für die Witwe. Das steht nicht extra im Szenario, sollte aber klar sein.

Soweit in alle Kürze von mir dazu. :)

Bild von Drak

Verrückt gewordener Spamfilter

Hi Taysal,

Dein Kommentar wurde leider vom Spamfilter gefressen. Ich habe ihn gerade gefunden und seinen Eingeweiden entrissen.

Tut mir Leid, dass ich das erst jetzt merke :(

Liebe Grüße,
Arne

PS: Ist mein Brief angekommen?

Bild von Drak

Die Reisezeiten habe ich

Die Reisezeiten habe ich auch etwa so gemacht: „etwa 4 Wochen“ :)

Danke für die Antwort!

Und es freut mich, dass dir der Bericht gefällt!

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„Durch das fixe Regelsystem haben wir nur sehr wenig Zeit auf Regelebene verbracht und hatten mehr Muße, auf das Setting einzugehen.“
— PiHalbe: Mutant — Under­gångens Arvta­gare
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